Der Erbauer von Chemnitz (german)

Ein Ingenieur aus Wittgensdorf baut seine Heimatstadt für den Internetdienst Google-Earth originalgetreu nach. Besonders anspruchsvoll war dabei ein Gebäudekomplex aus DDR-Zeiten.


Chemnitz. Im Winter sei es am einfachsten, da sind die meisten Bäume kahl und verdecken die Gebäude nicht. Verdeckte Fassaden würden später die meisten Probleme beim Modellieren der Häuser bereiten, sagt Axel Monse. Der 27-Jährige baut für Google Earth, einen digitalen Globus im Internet, die Chemnitzer Innenstadt nach.

Mit Computern hat Monse seit seiner Kindheit zu tun. Kurz nach der Wende, da war er gerade sechs Jahre alt, hatte sein Vater für seinen Job einen Computer erhalten. Diesen Rechner habe er anfänglich vor allem zum Spielen und Malen mit Zeichenprogrammen genutzt, erinnert sich Monse. Später als Gymnasiast sei das Interesse fürs Programmieren gekommen. “Ich habe mir ein Handbuch gekauft und das Wichtigste selbst beigebracht.” Erst sind an seinem Rechner vor allem Computerspiele entstanden. Für das Strategiespiel “The Mars Exploration” (Die Mars-Erkundung) erhielt der Chemnitzer den Deutschen Multimediapreis für Kinder und Jugendliche. Während des Studiums – Monse hat 2009 sein Diplom in Multimediatechnik an der Hochschule Mittweida abgeschlossen – war in Zusammenarbeit mit Kommilitonen ein Rundgang durch Rom mit 3-D-Gebäuden entstanden.

Das habe die Lust am Erstellen virtueller Gebäude geweckt – zunächst nur für den privaten Gebrauch, wie der 27-jährige erzählt. Später dachte er sich, dass es eigentlich schade sei, nur für sich selbst zu konstruieren. Nach dem Tipp eines Freundes entdeckte er Google-Earth für sich. Mit dem Internetdienst kann man die Erde von oben anschauen, in Straßen einschwenken und die Perspektive eines Fußgängers einnehmen. Um diesen Service noch realistischer zu machen, ermöglicht es Google den Nutzern, dreidimensionale Gebäude zu konstruieren und einzufügen.

Der Ablauf ist dabei immer derselbe. Monse zieht mit Digitalkamera los und fotografiert Häuser aus verschiedenen Perspektiven. Pro Gebäude kämen dabei 30 bis 50 Fotos zusammen. Eine Auswahl bearbeitet er am Computer. Dabei müssen Verzerrungen oder Krümmungen beseitigt werden: Wenn beispielsweise ein Hochhaus von unten fotografiert wurde, müssen die Wände aufgerichtet werden. Wiederholen sich bei Gebäuden bestimmte Abschnitte – wie die Fensterelemente der Markthalle – wird die schönste Aufnahme genommen und vervielfältigt. Die fertigen Oberflächen bringt Monse an 3D-Roh-Modellen an, die er zuvor wie Bausteine auf die Landkarte gesetzt hat. Ist das Gebäude rings herum “verkleidet”, kommt das Dach drauf. Danach wird die Animation ins Internet geladen. Je nach Schwierigkeit des Gebäudes dauere der gesamte Vorgang vom Fotografieren bis zum Einstellen zwischen wenigen Stunden und mehreren Tagen.

Auch wenn Monse mittlerweile als Software-Entwickler arbeitet und ähnliche Aufgaben hauptberuflich übernehme, erstellt er immer noch in seiner Freizeit Gebäudemodelle. Geld gebe es dafür nicht, dafür die Anerkennung der Internet-Gemeinschaft: “Die eigentliche Belohnung ist, wenn das eigene 3D-Modell tatsächlich zu sehen ist.” Einige Orte seien sehr umkämpft. So gebe es 97 Modelle für den Markus-Turm in Venedig. Nur eines erscheine bei Google Earth, welches, das entscheidet Google anhand der Kriterien Dateigröße – die soll so klein wie möglich sein – und Detailreichtum. Auf diesen und einen weiteren Erfolg ist Monse besonders stolz: Aus 30 Animationen für die Space Shuttle – Startrampe in Cape Canaveral (USA) habe Google sein Modell ausgewählt.

In Chemnitz hingegen gibt es kaum Wettbewerb. Etwas mehr als 30 der etwa 65 Chemnitzer Modelle entstanden an Monses Computer, darunter die Galerie Roter Turm und die Markthalle. Am problematischsten sei der Stadthallen-Komplex gewesen: “Da ist es schon beim Fotografieren schwierig an alle Ecken ranzukommen.” Für das Modell des Marx-Kopfs sei dagegen kein Chemnitzer verantwortlich: “Das hat ein Austauschstudent aus Jordanien erstellt”, weiß Monse.

Datenschutzrechtliche Bedenken müsse man nicht haben, versichert der 27-Jährige. Anders als beim Internetdienst Google Street View, bei dem Fotos von realen Straßenszenen ins Netz gestellt werden, handelt es sich bei Google Earth um digitale Modelle von Gebäuden. Zudem dürften Personen und Autos nicht gezeigt werden. Dagegen biete der Service den Nutzern neue Möglichkeiten, Städte virtuell zu bereisen.

Trotz seines arbeitsbedingten Umzugs nach Jena möchte Monse im digitalen Chemnitz noch einige Gebäude errichten. Als nächstes stehen die Jugendkirche am Park der Opfer des Faschismus an. Da machen ihm derzeit allerdings nicht die Jahreszeit und üppige Vegetation einen Strich durch die Rechnung, sondern Bauplanen und Gerüste: “Die Kirche wird leider gerade saniert.”

Autor: Benjamin Lummer

Erschienen: 22.07.2011 in der Tageszeitung “Freie Presse” (Chemniter Zeitung, Seite 11)

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